
- Fertigstellung: 14.05.2018
- Kategorie: Holz 2019
- Unternehmen: Bennert GmbH
Alter Schlachthof Regensburg: Das Zollingerdach verdiente eine Renaissance!
Es gibt in Deutschland zahlreiche Industriedenkmale, der alte Schlachthof in Regensburg ist zweifellos eines der bedeutendsten. Im Ensemble seiner geschützten Objekte findet sich eine im Jahr 1888 als eingeschossiger Walmdachbau mit dreischiffigem Kreuzgratgewölbe und neuromanischen Gusseisenstützen errichtete Großviehhalle. Baumeisterliche Krönung dürfte aber die 1928 gebaute Großviehmarkthalle in Zollinger Lamellenbauweise sein. Bevor auf dieses „Zollingerdach“ näher eingegangen wird, sollen noch ein paar Informationen zur Geschichte des Schlachthofs folgen. Er war für fast hundert Jahre ein wichtiges Element der Wirtschaft im ostbayrischen Raum; 1956 erreichte seine Produktivität ihren Höhepunkt. Durch das Aufkommen von leistungsstarker Konkurrenz verlor er nach 1980 immer mehr an Bedeutung, bis in den 90er Jahren schließlich der Betrieb eingestellt wurde. Für mehr als ein Jahrzehnt lag das gesamte Areal mit den denkmalgeschützten Bestandteilen brach, dann fasste die Stadt Regensburg den Beschluss, es zu einem modernen Wohngebiet umzugestalten, wobei die Großviehmarkthalle sich in ein zeitgemäßes Veranstaltungszentrum mit zusätzlichen Tagungsräumen verwandeln sollte. 2009 wurde das Projekt europaweit ausgeschrieben, 2013 konnte mit den Baumaßnahmen begonnen werden, und schon 2015 zogen erste Bewohner in die Neubauten ein. Die Großviehmarkthalle war zu diesem Zeitpunkt noch nicht saniert; von Juni 2015 bis Oktober 2017 arbeiteten die Zimmerleute unseres Unternehmens an der Ertüchtigung seines vom Zahn der Zeit angenagten Daches.
Das Zollingerdach wurde in den 1920er Jahren aus der Not geboren, die damals in Deutschland herrschte. Unter dem Druck der damaligen Missstände versuchten innovative Architekten und Stadtplaner, möglichst rasch und kostengünstig Wohnungen zu bauen. In Merseburg befasste sich der Stadtbaurat Friedrich Zollinger (1880 – 1945) damit, das Bauen durch Systematisierung und Standardisierung billiger zu machen. Neben wiederverwendungsfähigen Schalungselementen für Schüttbetonwände entwickelte er ein leicht zu errichtendes und kostengünstiges Dachtragwerk, für das sich der Name „Zollingerdach“ einbürgerte. Dazu schreibt der Inhaber des Lehrstuhls für Tragwerkslehre an der Leipziger Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur (HTWK), Prof. Dr.-Ing. Alexander Stahr:
„Die Idee von Zollinger leitet sich aus der Konstruktion von Bohlenbindern nach dem Vorbild von Philippe de l’Orme und David Gilly ab. Statt kurze Bretter jedoch wie diese versetzt aufeinander zu legen und durch Vernagelung zu einem gekrümmten Träger zu verbinden, fächerte Zollinger die Konstruktion zum Flächentragwerk auf. Um die einzelnen Bretter möglichst einfach verbinden zu können, verschiebt er die ansetzenden Brettenden so, dass mit einem einzelnen Bolzen zwei anstoßende Lamellen mittig an einer dritten durchlaufenden Lamelle befestigt werden können. Der spezielle Anschnitt der Brettenden (Schifterschnitt) ist ursächlich verantwortlich für eine sich beim Zusammenbau ergebende kontinuierliche Krümmung in Längsrichtung der Lamellen. Durch Aneinanderreihung dieser in Querrichtung entsteht eine kreiszylindrische Stabwerkschale. Das gesamte Bausystem ist ein Meisterstück der Standardisierung. Es besteht, wie zuvor beschrieben, lediglich aus zwei verschiedenen Brettern und einem Schraubenbolzen.“
Das Zollingerdach fand rasch Verwendung beim Bau von Wohnhäusern in Merseburg und Umgebung. Seine Dachform prägt noch heute die Altbauwohngebiete der Stadt. Doch nicht nur formal unterscheidet sich das Dach von seinen „klassischen Konkurrenten“. Vielmehr waren die nachfolgend genannten Vorteile des Systems in ihrer Summe überzeugend:
• Die gewölbte Außenform des Daches mit Verzicht auf Stützen ergab eine optimale Nutzbarkeit des Dachraumes.
• Die Einsparung der Holzmenge gegenüber einem Mansarddach vergleichbarer Größe lag bei etwa 40 Prozent.
• Die geringe Einzellänge der Konstruktionshölzer erleichterte deren Beschaffung und Antransport.
• Die Montage des Daches war so einfach, dass Bauherren oder zukünftige Mieter durch Mithilfe bei dessen Errichtung Kosten sparen konnten.
• Die vergleichsweise geringe Eigenlast der Konstruktion lässt Spannweiten bis 40m zu.
• Die Untersicht des Zollingerdaches ist ästhetisch sehr ansprechend.
Die Einfachheit des genialen Konstruktionskonzeptes mit seinem simplen Verbindungsdetail ist gleichsam seine größte Schwäche. Zur Zeit der Patentanmeldung ließ sich die Statik des „Zollbau-Lamellendaches“ nicht exakt berechnen. Der Statikprofessor Robert Otzen führte deshalb in den Jahren 1922 / 23 im Auftrag des Staatlichen Materialprüfungsamtes Berlin-Lichterfelde Belastungsversuche an unterschiedlichen Zollingerdächern durch, die sämtlich positiv verliefen. Daraufhin erhielt das Konstruktionsprinzip eine „Zulassung“, welche in der Folge die Grundlage für eine breite Anwendung darstellte.
Um das Dach im Sinne einer „statischen Berechnung“ kalkulieren zu können, bedarf es eines mathematischen Rechenmodells, das sowohl die Besonderheit der
„schiefwinkligen Stellung“ der Lamellen zueinander, als auch die Genauigkeit des Zuschnitts der Bauteile und des spezifischen, anisotropen Materialverhaltens des Holzes berücksichtigt. Insbesondere die Integration des (zweiachsigen) Versatzes der Lamellen in ein solches Modell bildet bis heute eine große Herausforderung für die planenden Ingenieure und Architekten. Die aktuellen Forschungen an der HTWK Leipzig haben daher das Ziel, eine modifizierte Knotenverbindung inklusive eines entsprechenden Rechenmodells und gleichzeitig eine unter kontrollierbaren Werkstattbedingungen vorfabrizierbare Variante des Leichtbaudaches zu entwickeln. Damit soll das ressourceneffiziente Konstruktionsprinzip für die Zukunft fit gemacht werden. Die Endlichkeit der materiellen natürlichen Ressourcen sowie der sich dynamisierende Klimawandel liefern den Leipziger Forschern die übergeordneten Motive.
Der Aufgabe einer Optimierung des Tragwerks und seiner Fertigung widmet sich Professor Alexander Stahr an der Leipziger Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur. Im Unterschied zum Erfinder Friedrich Zollinger stehen ihm für dieses Projekt nicht nur weiterentwickelte Rechenverfahren auf modernen Computern zur Verfügung, sondern mit Schichtholz auch ein Material, das gegenüber Naturholz deutlich verbesserte Eigenschaften aufweist. Statische Berechnungen sind dabei allein nicht zielführend. Denn die Steifigkeit der Konstruktion unter Belastung hängt maßgeblich von Eigenschaften der verschraubten Knotenpunkte ab, die sich einer mathematischen Modellierung entziehen, wie z. B. Fertigungstoleranzen oder Vorspannung beim Verschrauben. Deshalb sind auch heute wieder Belastungsversuche sinnvoll, wie sie die Bilder 3, 4 und 5 zeigen. (Bildquelle: FLEX@HTWK Leipzig)
Bild 1: Durch das versetzte Zusammenfügens der standardisierten Bretter mit einem einzigen Schraubenbolzen entsteht ein Tragwerk mit sehr speziellen Knoten (Grafik: Hannes Lösch- ke, M. Sc.; Fundus: Prof. Stahr)
Bild 2: Belastungsversuch zur Ermittlung der Lastverteilung (Normal- und Querkräfte) am Einzelknoten im Modellmaßstab mit Messpunkten für photogrammetrische Verformungsmessung
Bild 3: Simulation einer gleichmäßig verteilten Flächenlast mittels Sandeimern (F = 0,2kN) am Großmodell in der Versuchshalle der HTWK Leipzig
Bild 4: Belastungsversuch mittels Sandsäcken (F = 0,3kN) am Demonstrator eines in Segmenten vorgefertigten Zollingerdaches auf der Baustelle
Bild 5: abgestützte Partie des Zollingerdaches mit seiner typischen Rautenstruktur im alten Schlachthof von Regensburg
Nach der konstruktiven Optimierung des Zollingerdaches und seiner Fertigung stellt sich die Frage nach der Gestaltung des Wärmedurchgangs. Es gibt für die Dämmung bereits grundsätzlich praxistaugliche Lösungen. So kann man Professor Stahr und seinen Mitarbeitern viel Erfolg bei ihrem Bemühen um größere Effizienz in der Bauwirtschaft wünschen.
Unsere Zimmerleute hatten bei ihrer Tätigkeit am Zollingerdach des Regensburger Schlachthofes nicht nur besondere technische Aspekte zu beachten; sie erfüllten auch die hohen Anforderungen der Denkmalpflege. Dafür dankt die Firmenleitung den Zimmerleuten.
Dank gilt auch den zuständigen Herren vom IZ Immobilienzentrum für ihre stets lösungsorientierte Haltung.