- Fertigstellung: 12.10.2018
- Kategorie: Holz
- Unternehmen: Arbeitsgemeinschaft Holzbau Andreas Hagedorn & Pius Luib Zimmerei Schreinerei
Freiburger Münster Unserer Lieben Frau
Reparatur und Instandsetzung der Holzkonstruktion des Glockenstuhls
Text: Andreas Hagedorn
Historische Glockenstühle gehören „nachweislich zu den kunstvollsten Zimmerwerken“ und stellen „geradezu Meisterwerke alten Bauschaffens“ dar. Der Glockenstuhl im Freiburger Münster wird als „einer der ältesten, für die Geschichte der mittelalterlichen Holzverbände zugleich wertvollsten“ bezeichnet (Biebel: Gezimmerte Glockenstühle, 1921)
Das Erzbischöfliche Bauamt hat im Zuge einer beschränkten Ausschreibung im September 2016 sechs in der Restaurierung historischer Holzkonstruktionen etablierte Fachfirmen angeschrieben. Um den Zeitraum der Sperrung des bei Besuchern sehr beliebten Turmaufgangs möglichst kurz zu halten, sollte mit einer auf die räumliche Enge im Turm abgestimmten, aber stets möglichst großen Baustellenbesetzung gearbeitet werden. Dies führte im Ergebnis zur Bildung einer Arbeitsgemeinschaft der Zimmereien und Restaurierungsfirmen Andreas Hagedorn, Sulzburg und Pius Luib, Bad Saulgau.
Gegenstand des Auftrags war die umfassende Instandsetzung der Glockenstuhlebenen II und III. Ebene II meint hierbei die Konstruktionshölzer direkt unterhalb der Türmerstube, inklusive der Balkenlage, sowie den Bodenaufbau. Ebene III beginnt ab Bodenoberkante der Türmerstube und reicht bis zur Oberkante der den historischen Glockenstuhl abschließenden Rähme.
Die Arbeiten haben im Januar 2017 begonnen und dauerten rund 2 Jahre. Den Höhepunkt mit vorausgegangenem „Zwischen-Endspurt“ bildete das Turmfinale im Oktober 2018, als der Abschluss der Restaurierungsarbeiten am steinernen Turm gefeiert wurde. Seit diesem Festwochenende sind Turm und Glockenstuhl wieder für Besucher geöffnet.
Grundlage der Planung war eine detaillierte Zustandsuntersuchung und die Kartierung der Schäden in den verformungsgerechten Aufmaßplänen. Es wurden 295 Schadstellen dokumentiert und in einer begleitenden Tabelle mit Maßnahmenempfehlung beschrieben. Diese Empfehlungen wurden im Rahmen der Maßnahme mit den VertreterInnen der Denkmalpflege besprochen und bildeten den Rahmen zur Planung und Organisation des Bauablaufes.
Insbesondere für die Bereitstellung der ungewöhnlich großen Holzquerschnitte war eine stetige Vorausschau und hohes Engagement notwendig.
Der Freiburger Glockenstuhl mag in sich ein beeindruckendes Zeugnis mittelalterlicher Holzbaukunst sein, bleibt jedoch bis heute ein in erster Linie dienendes Bauteil. Seine Aufgabe ist die Bereitstellung einer dauerhaft sicheren Tragstruktur zum Aufhängen und Läuten der Glocken – und diese Aufgabe erfüllt er nunmehr seit rund 700 Jahren.
Die statische Besonderheit von Glockenstühlen liegt u.a. im ständigen Wechsel der Belastungsrichtung während des Läutevorgangs (dynamische Beanspruchung) und den dabei auftretenden hohen horizontalen Lastkomponenten.
Von den ca. 120 Holzverbindungen der Ebene II und III wiesen ungefähr 80% Fugen von 8 bis 40 mm auf. Um sämtliche Bauglieder aktiv am Lastabtrag zu beteiligen, wurden klaffende Verbindungen kraftschlüssig ausgekeilt.
Der seitliche Anschluss der bis zu 17 m langen Streben und der fast 10 m langen Stockriegel war zum Teil gelöst, d.h. Streben und Riegel wanderten entgegen ihrer ursprünglichen Montagerichtung wieder aus der Verbindung heraus. Widerstand gegen dieses Herauswandern boten, von der Flankenreibung abgesehen, lediglich die eichenen Holznägel. Diese sind aufgrund der Setzungen und Verformungen zu einem guten Teil abgeschert und gebrochen. Auch im abgebrochenen Zustand sind die historischen Holznägel ein wichtiges Zeugnis von hohem Denkmalwert. Es ist doch erstaunlich und erwähnenswert, dass rund 20% der Holzverbindungen auch nach 700 Jahren „Dienst an der Glocke“ in tadellosem Zustand sind und auf den Millimeter genau passen.
Einige Reparaturmaßnahmen aus dem Jahr 1957 waren in statisch-konstruktiver Hinsicht zum Teil wenig wirksam. Der gestalterische Eindruck der Ergänzungshölzer war sehr „klobig“ und die Wirkweise der Urkonstruktion nicht mehr stimmig wahrnehmbar. Ziel war es, Lösungen zu finden, die fehlenden Bauglieder der Urkonstruktion durch statisch wirksame Prothesen in bestandsgleicher Abmessung zu ersetzen, ohne die Konstruktion durch auftragende Zusatzhölzer zu entstellen. Hierfür wurden jeweils mehrere, sehr konkret auf das individuelle Schadbild, die vorhandene Geometrie und die räumliche Enge abgestimmte Instandsetzungsvarianten erarbeitet und an Ort und Stelle mit der Bauleitung und der Denkmalpflege diskutiert und abgestimmt.
Durch zuvor gemachte Untersuchungen auf Holzschutzmittelbelastung wurde bekannt, dass die Hölzer der Bauphase 1957 mit PCP-haltigem Holzschutzmittel behandelt waren. Die Verstärkungshölzer von 1957 wurden von der Denkmalpflege als eine in sich einheitliche, die Bauzeit dokumentierende und daher grundsätzlich in ihrer Originalsubstanz erhaltenswerte Bauphase gesehen. Eine zwischenzeitlich diskutierte, baugleiche Erneuerung wurde daher verworfen. Die betroffenen Hölzer wurden demontiert und vom Turm herunter geschafft. Mittels Sägewerkstechnologie wurde jede Seite der Balken um ca. 5 mm nachgeschnitten. Dies war eine wirksame Maßnahme zur Dekontaminierung, da sich die Schadstoffbelastung auf die oberflächennahen Randbereiche konzentriert.
In den Instandsetzungsabschnitten der Ebenen II und III fallen die zwei Nutzungsebenen Türmerstube und Glockenstube. Ein Aufenthalt in der Türmerstube während die Glocken läuten ist immer wieder ein faszinierendes Erlebnis.
Der Eicheboden der Türmerstube stammt aus dem Jahr 1909 und wurde, aus über 300 Einzelstücken bestehend, aufgenommen und in der Werkstatt restauriert. Der Alterscharme der Oberseite, insbesondere die Wölbungen und Rundungen der sehr unterschiedlich breiten und langen Dielen, wurde bewusst belassen.
Der Boden der Glockenstube begrenzt die Türmerstube nach oben und dient so auch dem Schutz des öffentlich genutzten Raumes vor eventuellen Gefahren durch den Glockenbetrieb. Hierfür war der vorhandene Boden zu schwach und wurde daher aus 50 mm starken Eichenholz-Breitdielen komplett erneuert.
Ein wesentliches Konstruktionsmerkmal des Freiburger Glockenstuhles ist seine Freistellung im steinernen Turm. Aus Gründen der Klangabstrahlung hängen die Glocken weit oben im dort schon filigran aufgelösten Turm. Der Lasteintrag erfolgt somit ausschließlich unten an der Basis in das dort viel massivere Sandsteinmauerwerk.
Jährlich steigen rund 130.000 Besucher die 209 Stufen bis in die Türmerstube und 56 weitere bis zur Besucherplattform unter dem Turmhelm hinauf. Der Glockenstuhls des Freiburger Münsters Unserer Lieben Frau ist gewaltig in seiner Dimension und mit der Baugeschichte des Turms eng verzahnt. Darin und daran zu arbeiten ist eine Ehre und eine Herausforderung.