- Fertigstellung: 30.04.2018
- Kategorie: Holz
- Unternehmen: Mäder Holzbau GmbH
Unter dem Schloss Hohenlupfen, oberhalb des früheren Stadtgrabens, prägt das ehemalige Gerberhaus das Antlitz der Altstadt Stühlingens. Vermutlich im frühen 17. Jahrhundert erbaut, handelte es sich zunächst um einen zweigeschossigen Bau, der sich seit der Aufstockung um ca. 1850 dreigeschossig und mit vierachsiger Fassade traufständig unter Satteldach zwischen den historischen Gebäuden einreiht. Auf der Gartenseite sitzt das Haus auf der alten Stadtmauer auf, die Lauben datieren ebenfalls von dem wohl größeren Umbau 1850. Durch die Jahrhunderte genutzt als jüdisches Wohnhaus, Kronenwirtschaft im Judenwinkel und immer wieder als Gerberhaus, befand es sich die letzten 110 Jahre in der Hand einer Schreinerfamilie, die es 2016 den heutigen Eigentümern verkaufte. Als Gasthaus Krone hat das Haus wohl schon während des Dreißigjährigen Krieges in Kriegs- und Friedenszeiten Einheimische und Reisende beherbergt. Die jüdische Gemeinde in Stühlingen wurde in den 1740er Jahren ausgewiesen, nachdem der Fürst die Verlängerung der Schutzrechte verweigert hatte. Davon waren auch die jüdischen Bewohner des Hauses betroffen. Ende des 18. Jahrhundert war es Wohnsitz des Bürgermeisters der Stadt Stühlingen. Zuletzt als Einfamilienhaus genutzt, wurde es von 2016 bis 2018 zu einem Mehrfamilienhaus mit derzeit fünf Wohneinheiten umgebaut, wobei auch der alte Ökonomieteil und die ehemalige Scheune in enger Absprache mit den Denkmalbehörden ausgebaut wurden.
Um dem historischen Gebäude seinen ursprünglichen Charakter so weit wie möglich zu erhalten bzw. ihn an vielen Stellen wieder zu erwecken, waren umfangreiche Zimmermannsarbeiten vonnöten, die sich über knapp ein Jahr erstreckten. Insbesondere in den vergangenen beiden Jahrhunderten entstanden Schäden am Tragwerk, teils durch mangelnde Instandhaltung der Gebäudehülle, teils durch bauliche Maßnahmen unter Missachtung der Statik.
Zunächst galt es, nach Freilegen der alten Mauern und Balken, die Statik der Gesamtkonstruktion zu sichern. Dazu wurde im südlichen Teil das Fachwerk im ehemaligen Stall-/Scheunenbereich über eine Höhe von 9 Meter und eine Breite von 12 Meter statisch ausgerichtet, fachgerecht ergänzt und mit einem Betonfundament ausgestattet. In den neu geschaffenen Wohnungen erstreckt sich nun das Fachwerk entlang des gesamten Wohnbereichs vor den neuen Wänden und verleiht so den Räumen eine einzigartige Mischung aus Gestern und Heute. Die Fassade zur Straße wurde auf einer Fläche von 14 Quadratmetern geöffnet und das dortige Fachwerk über dem historischen Scheunentor ergänzt. Die zwei dahinter liegenden Wohnungen bekamen neben dem an den alten Heuaufzug erinnernden Luftraum jeweils einen innenliegenden Balkon in Holzbauweise.
Die Holzbalkendecke einschließlich der Streifböden über dem Erdgeschoss im alten Wohnhaus konnte weitgehend erhalten werden. Allerdings mussten mehrere der teilweise über 13 m langen Balken mit Stahlprothesen ergänzt werden, da die laubenseitigen Balkenköpfe durch Feuchtigkeitseintrag abgefault waren. Diese Prothesen sind nicht sichtbar verbaut. Die unter einer ausgefachten, zu erhaltenden Wand liegende Schwelle war stark beschädigt und konnte nur durch aufwendiges Abfangen der Wand ersetzt werden. Es handelt sich um den einzigen neuen Balken der Decke über dem Erdgeschoss. Der mächtigste der historischen Unterzüge war zum Einbau einer Treppe, die im Zuge des Umbaus entfernt wurde, unterbrochen worden. Er wurde durch Einsatz eines Gerberstoßes wieder in den ursprünglichen Zustand versetzt; auch das ehemalige Auflager in der Bruchsteinwand wurde freigelegt und wieder wie ursprünglich verwendet.
Größere Schäden der bestehenden Holzdecke waren über dem 1. OG des alten Wohnhauses zu beklagen. Um dem Denkmal gerecht zu werden, sollte die Holzdecke auch nach der Sanierung sichtbar sein und die rußgeschwärzte Färbung durch die früher verwendeten offenen Feuerstellen aufweisen. Da gleichzeitig die zeitgemäßen Brandschutzvorgaben einzuhalten waren, wurde im Bereich des früheren Gastraums der “Krone” ein neuer 260×260 mm-Unterzug mit einer Länge von 7 m eingebaut. Die alten, größtenteils nicht mehr verwendbaren Streifböden wurden durch neue, “rußgeschwärzte” ersetzt und so die urige Atmosphäre der ehemaligen Gastwirtschaft erhalten. Im gartenseitigen Anbau wurde die Decke geöffnet und so ein Raum mit einer Deckenhöhe von gut 4 m unter dem Spitzgiebel geschaffen.
Auch die Decke im 2. OG des alten Wohnhauses musste aus Gründen der Statik und des Brandschutzes mit drei neuen 260×260 mm-Unterzügen verstärkt werden. Hier wurde mit offenen Fachwerkwänden als Raumteilern und weiß lackierten Streifböden zwischen alten Holzbalken ein großer, lichtdurchfluteter Wohnbereich geschaffen. Da die Deckenbalken in diesem Bereich insbesondere auf der Straßenseite keine intakten Auflager in den Riegelwänden mehr hatten, wurden sowohl an der Straßen- als auch an der Gartenseite ausgedämmte Holzständerwände zur Schaffung von Auflagern und zur Reduktion der Transmissionswärmeverluste errichtet.
Bei den Lauben zum Garten wurde nach Abbruch der Bodenbeläge eine teilweise statisch fehlerhafte und durch Feuchtigkeit und Insektenfraß beschädigte, in weiten Teilen nicht zu erhaltende Holzkonstruktion sichtbar. Hinter der charakteristischen Holzverkleidung im 1. OG, die es zu erhalten galt, wurden die Lauben komplett neu errichtet, die vier alten Pfosten wurden an ihrer Rückseite durch neue verstärkt, die Bodenkonstruktion mit neuen Streifbalken an der Hauswand befestigt. Da die Laube im 2. OG mit zu geringen Querschnitten konstruiert war, musste sie mitsamt dem nicht absturzsicheren Geländer und der Pfette des Vordaches ersetzt werden.
Insgesamt wurde kein noch brauchbarer alter Balken oder kein intaktes Brett aus dem Haus entfernt. Wo sie nicht an gleicher Stelle weiterverwendet werden konnten, wurden sie ausgebaut, abgebunden und gebürstet und als Teil der neuen Fachwerkkonstruktionen oder als Verkleidung wieder verbaut.
Man kann das alte Gerberhaus heute mit gutem Recht als Schmuckstück bezeichnen, das zum großen Teil der hervorragenden Zusammenarbeit von Zimmermann und Architekt, beide mit herausragender Erfahrung im Bereich Sanierung historischer Holzbauten, entsprungen ist.