
- Fertigstellung: 30.04.2020
- Kategorie: Bauwerkserhaltung
- Unternehmen: Taglieber Holzbau GmbH
Nördlingen wird als einzige Stadt Deutschlands durch eine vollständig erhaltene Stadtmauer umgeben. Die Innenstadt ist geprägt von historischen Gebäuden, wie zum Beispiel verschiedenen Fachwerkhäusern, dem Gerberviertel oder „Daniel“. Leider gibt es aber auch viele Gebäude, die im Laufe der Jahre nicht mehr gepflegt wurden und nun sanierungsbedürftig sind. Ein solches Gebäude befindet sich in der Baldinger Straße 10. Das Fachwerkhaus wird auf das Jahr 1470 datiert, steht unter Denkmalschutz und war die letzten zehn Jahre vor der Sanierung im Jahr 2019/2020 unbewohnt. Die Sanierung dieses denkmalgeschützten Gebäudes war eine sehr besondere Aufgabe für die Taglieber Holzbau GmbH, da das Haus in der beengten Nördlinger Innenstadt liegt, an die beiden Traufseiten direkt Häuser angrenzen und an der Westseite nur eine schmale Einbahnstraße vorbeiführt. Durch die Sanierung des Gebäudes sollten in der Altstadt neue Wohn- und Gewerbeflächen geschaffen werden. Die Sanierung im Sinne des Denkmalschutzes war sehr wichtig, damit sich das Haus weiterhin harmonisch in das Erscheinungsbild der Stadt einfügt und die Charakteristika für die nachfolgenden Generationen erhalten bleiben. Die Entwurfsplanung der umfangreichen Sanierung erfolgte in enger Abstimmung mit dem Landesamt für Denkmalpflege. Die erste Variante enthielt zum Beispiel eine komplette Glasfassade auf der Rückseite (=Ostseite), die in der zweiten Entwurfsfassung in eine Holz- und Putzfassade geändert wurde. Final genehmigt und umgesetzt wurde die Denkmalsanierung wie folgt:
Auf der Gebäuderückseite (=Ostseite) wurde der neuzeitliche Anbau an den historischen Bestand angeglichen, indem das Dach um 90° gedreht und auf die gleiche Höhe des Hauptdaches angehoben wurde. Auf der Vorderseite des Gebäudes (Westseite) wurde der Fachwerkgiebel im Obergeschoss saniert und beschädigte Teile wurden in Absprache mit dem Denkmalamt ergänzt oder ausgetauscht. Ab dem 1. Dachgeschoss musste der bestehende Fachwerkgiebel komplett erneuert werden, da die Holzkonstruktion erhebliche Schäden aufwies. Dabei wurde der neue Fachwerkgiebel komplett im Werk vorgefertigt, gestrichen, verputzt und originalgetreu nachempfunden. Der Vorteil der Vorfertigung ist, dass das Gewicht auf das Gebäude durch die Leichtbauweise reduziert wird, was sich positiv auf die Statik auswirkt. Der Aufbau des neuen Giebels ist diffusionsoffen, wodurch eine Rücktrocknung von Feuchtigkeit möglich ist. Durch die Vorfertigung ist man witterungsunabhängig und erreicht eine höhere Qualität. Bevor der Bau des neuen Giebels starten konnte, wurde ein Muster für die Abstimmung mit dem Landesamt für Denkmalpflege angefertigt. Nach dessen Genehmigung wurden innerhalb von vier Wochen die einzelnen Giebelelemente produziert. Dabei wurde die „Schiefe“ des bestehenden Gebäudes, der Wände und Fenster mit Hilfe eines verformungsgerechten Aufmaßes auch im neuen Giebel umgesetzt. Neue Holzfenster aus Eiche sowie neue, wiederum im Werk komplett vorfertigte und verputzte Gauben, sorgen für mehr Tageslicht im Inneren. Ein umfangreiches denkmalpflegerisches Maßnahmenkonzept mit den verschiedenen Maßnahmen und Materialien wurde gemeinsam mit dem Landesamt für Denkmalpflege und dem Denkmalbeauftragten der Stadt nach vielen Voruntersuchungen erstellt, um aufzuzeigen, welche historischen Elemente es gibt und auf welche Weise diese erhalten bleiben sollen. Eine dendrologische Untersuchung zur Baualtersbestimmung im Vorfeld der Baumaßnahme ergab, dass das bauzeitliche Konstruktionsprinzip/Dachwerk auf Winter 1471/72 datiert wird. Das verformungsgerechte digitale Aufmaß erfasst das Gebäude zeichnerisch inklusive Darstellung der baualterlichen Teile. Vor Beginn der Baumaßnahme hat das Archälogiebüro Dr. Woidich eine denkmalpflegerische Sicherung des Gebäudes durchgeführt (gesichert: alte Münzen, mittelalterlicher Ziegel-Kalk-Estrich). Im Erdgeschoss wurde der Ziegelestrich erhalten und unter einer Bodenplatte konserviert. Schnitzereien an der Fassade wurden fachgerecht gereinigt, restauriert und konserviert, immer passend zum Farbkonzept, das in Abstimmung mit dem Denkmalschutz erstellt wurde. Die Bohlenbalkendecke im Erdgeschoss wurde freigelegt und bleibt in Zukunft sichtbar. Die vorhandene Brettleisten-Decke und die Bohlenwand, die sich teilweise im 1. Obergeschoss befinden, bleiben sichtbar. Die historischen Fachwerkwände wurden alle erhalten, entweder sichtbar oder hinter einer freistehenden Vorsatzschale konserviert. Die historischen Gefache der Fachwerkwände, die erhalten blieben, wurden wieder mit Lehmputz verputzt und mit Bister gestrichen. Der Dachstuhl wurde komplett erhalten, konserviert und gedämmt. Die Decke im Dachgeschoss 3 wurde mit Aufdoppelungen erhöht, damit der Raum optisch höher ist. Die alten Balken wurden erhalten. Die historische Hauseingangstüre wurde restauriert und wieder eingebaut, die Türen im Dachgeschoss wurden samt der bauzeitlichen Schwellen unter den Türen ebenfalls erhalten. Die alte Blockstufentreppe wurde saniert und wieder eingebaut mit besonderem Augenmerk auf das Baluster Geländer. Hervorzuheben ist der im Werk vorfertigte Fachwerkgiebel. Bei der Sanierung des Dachstuhls zeigte sich, dass die Giebelschwelle erneuert werden musste. Die Profilierung wurde nach historischem Vorbild gefertigt. Es wurden Träger zur Verstärkung eingebaut, natürlich angepasst an die Verformung, damit die Standsicherheit wieder hergestellt ist. Weiterhin waren bei vielen Sparren die Fußpunkte nicht mehr intakt. Sie wurden vom Restaurator ergänzt und mit Eichenägeln verbunden. Auch die Reparaturarbeiten an Pfetten und Streben wurden fachgerecht ausgeführt und mit Eichedübeln verbunden. Holzprodukte wie Nägel oder Schrauben weisen dabei eine höhere Hitzebeständigkeit als identische Stahlprodukte auf. Zwischen den einzelnen Etagen waren die Balkenlagen ohne Boden. Es wurde ein Fehlboden aus Gipsfaserplatten zweilagig stoßversetzt zum Einhalten des Brandschutzes geschaffen, da wegen der Raumhöhe keine Aufbauhöhe für die Böden vorhanden war. Da die Balkenlage von vorne nach hinten um 70 cm fällt, wurde auch im Boden das Gefälle eingebaut, um nicht in die historische Substanz eingreifen zu müssen. Unter die bestehenden Unterzüge wurden Stahlstützen eingebaut, um die Last besser abzutragen. Die Bauzeit für die Sanierung betrug dank der hohen Vorfertigung nur knapp ein Jahr. Es sind fünf neue Wohnungen mit 66 bis 98 m² Wohnfläche, eine Wohnung mit 194 m² sowie eine 118 m² große Gewerbeeinheit entstanden. Somit musste kein Haus auf die grüne Wiese gebaut werden. Andere Freiflächen konnten auf diese Weise geschont/bewahrt werden.